Wohnen, Geld & Demokratie: das große Ganze im tiny House!
Der erste Event im Tiny PopUp sollte mehr sein, als nur eine Führung durchs Tiny House und den neu angelegten Garten. Denn wer auf solch kleinem Raum lebt, beschäftigt sich zwangsläufig mit den grossen Fragen des Lebens. Vor allem, wenn solch ein Tiny House in der teuersten Stadt Deutschlands steht: in München.
Deshalb lud das Tiny PopUp zu einer Diskussionsrunde zu den Themen Wohnen, Geld und Demokratie ein. Wir haben uns sehr über die tollen Diskussionspartner und die vielen Gäste gefreut. Mit dabei waren Werner Küppers vom Omnibus für direkte Demokratie und Tilman Schaich von der Münchner Initiative ausspekuliert. Ausserdem bereicherte das Künstlerkollektiv P.O.N.R (Points of no return) die Debatte in den Bereichen der Architektur und Performancekunst und Felicia Rief vom Tiny PopUp München Pullach brachte ihre Erfahrungen aus über drei Jahren politischer Arbeit zu Tiny Living und Leerstand ein. Da eine Debatte über solch essentielle Themen eine gute Moderation braucht: vielen Dank an unseren tollen Nachbarn, den Gründer und Umwandlungs-Unterstützer Nikolaus Teixera, der die Themen gekonnt verband, berührende Zitate einbrachte und seine Erfahrungen aus jahrelanger Kampagnenarbeit mit uns teilte.
Wohnen: Anlageobjekt oder Grundrecht?
Alles fing eigentlich mit dem Thema Wohnen an. Dadurch kamen wir, also Jonas und Felicia, zum Aktivismus. Unfreiwillig. Wir sind da so rein gerutscht, weil wir selbstbestimmt, flexibel und bezahlbar wohnen wollten. Jeder muss irgendwo, irgendwie Wohnen. Ein Grundrecht, das sogar in der Bayrischen Verfassung verankert ist. Dass aber dieses Grundrecht immer mehr missbraucht wird und Luxussanierung und Weiterverkauf das Zuhause zum Anlageobjekt machen, ist mittlerweile zum Volksport von Investoren weltweit geworden. Tilman Schaich, der 2019 die Münchner Initiative #ausspekuliert ins Leben rief, kann davon ein Lied singen. Wir finden sein Engagement wirklich bemerkenswert und freuen uns jedes Mal, wenn er bei uns zu Gast ist. Er inspiriert, kritisiert und protestiert – aber lässt sich trotz der vielen Herausforderungen und oft auch Rückschläge seine Gelassenheit nicht nehmen. Gegen was er ankämpft, ist auch die Lethargie und Resignation, die sich wieder über Münchens Mieterinnen und Mieter legt. „Da kannst eh nix machen“ – „Doch! Wenn man nicht in einer toten Stadt leben will, muss man sie mitgestalten!“
Demokratie: von allen für alle
Bei Thema Wohnen wird deutlich, wie sehr es unter der Oberläche brodelt. Viele fragen sich, für wen die Regierungen der letzten Jahre eigentlich Politik gemacht haben: für das Volk oder für die Aktionäre in – und ausländischer Firmen. Der Unmut über steigende Mieten bei seit Jahren stagnierenden Löhnen formiert sich immer mehr in Protesten, Aktionen und Volksentscheiden. Bestenfalls. Oder die Menschen resignieren, wenden sich ab vom politischen System, fühlen sich nicht mehr gehört und gehen rechten Rattenfängern auf den Leim. Dabei ist es erwiesen, dass in Ländern mit mehr basisdemokratischen Mitbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeiten die Politikverdrossenheit und die Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen geringer ist. Wir sollten also wieder mehr Demokratie wagen – ob in Form von mehr Volksentscheiden, dem Wahlrecht unter 18 oder BürgerInnenräte – denn über uns ist nur der Himmel.
Geld: Bullshitjobs, Shitjobs und das Grundeinkommen
Die Hälfte der deutschen Bevölkerung besitzt weniger als 2 Prozent des Vermögens im Land. Dafür besitzt das Reichste Prozent über ein Drittel des Gesamtvermögens. Während der Pandemie konnten die reichsten Familien in Deutschland ihre Vermögenswerte sogar überproportional steigern, während viele im Land von Existenzängsten heimgesucht wurden oder sogar ihre Ersparnisse aufbrauchen mussten, um die Miete zu begleichen. Es zeichnet sich eine immer größer werdene Kluft zwischen denjenigen ab, die für Geld arbeiten müssen und denjenigen, die ihr Geld für sich arbeiten lassen können. Wer es trotz mehrerer Jobs gerade so schafft, dass am Ende des Geldes nicht mehr so viel Monat übrig ist, verrichtet meist sogenannte „Shit Jobs“. Erkennungsmerkmal: gesellschaftsrelevant aber geringverdienend. Viele Beschäftigte in den Bereichen Logistik, Einzelhandel, Pflege, Erziehung, Reinigung, Bildung und Gesundheitswesen sind überarbeitet aber unterbezahlt. Dem gegenüber stehen „Bullshit Jobs“. Hier handelt es sich um meist sehr gut entlohnte Arbeit, aber der gesellschaftliche Nutzen ist entweder nicht klar auszumachen oder höhlt unser Gemeinswesen sogar aus. Viele Angestellte in Kanzleien, Beratungen, Banken, Versicherungen oder großen Konzernen wissen nicht, für welchen Zweck sie eigentlich täglich zur Arbeit gehen. David Graeber hat dieses Phänomen in seinem Buch „Bullshit Jobs“ erstmals gekonnt analysiert und zusammengefasst. Dabei mangelt es nicht an wichtigen Aufgaben: Bekämpfung von Umweltverschmutzung, Ungleichheit, Pflegenotstand und Politikverdrossenheit. Was würden wir also tun, wenn für unser Einkommen gesorgt wäre? Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens provoziert in seiner Schlichtheit: welcher Tätigkeit gehen wir nach, wenn unsere Existenz gesichert ist?
All diese Denkanstöße und Ideen wurden bei unserer Diskussionsrunde thematisiert und es hat uns sehr gefreut, Teil dieses fruchtbaren Gesprächs gewesen zu sein! Viele Gäste haben sich vorher über diese Themen keine Gedanken gemacht, auch weil sie so sehr im Hamsterrad des täglichen Lebens feststecken und einfach keine Zeit haben, das aktuelle Lebensmodell zu hinterfragen. Wir bedanken uns hiermit bei allen, die so emotional mitdiskutiert haben, Ideen einbrachten und sehr private Andektdoten mit uns geteilt haben.
Wer mehr über die obigen Themen erfahren will, findet hier eine Inspirationsliste:
David Graeber (2018) Bullshitjobs – vom wahren Sinn der Arbeit
Frederik Gertten (2019) Push – das Grundrecht auf Wohnen
Omnibus für direkte Demokratie (2018) Demokratie in Bewegung – der Auftrag Europa
Hans Jochen Vogel (2019) Wie Wohnraum bezahlbar werden kann (Beitrag in der SZ)
Georg Hasler (2015) Blütenstaubwirtschaft – wenn Dinge zu Daten werden
FAQ
Von uns her gesehen gibt es für den Wohnungsmarkt nicht DIE Lösung. Wichtig ist durch eine grosse Vielfalt verschiedenste Möglichkeiten zu unterstützen, je nach Flächengröße und Umgebung. Kleinwohnformen können ein Puzzleteil in Stadt- und Gemeindentwicklung sein, welche je nach Person und Situation eine optimale Lösung darstellen. Zudem handelt es sich bei Tiny Houses meist um nachhaltige Wohnformen mit erheblich geringerem CO2-Fußabdruck im Vergleich zu herkömmlichen Wohnformen, die flexibel und bezahlbar sind, ohne den Boden zu versiegeln.
Tiny Pop Ups sind aber nicht nur Begegnungsorte im Viertel, sondern auch Leuchtturmprojekte, die zeigen, dass sich die Stadt oder Gemeinde für kreative Lösungen einsetzt, was die Flächennutzung angeht. Lücken werden ökologisch gefüllt, ohne den Boden zu sehr zu beanspruchen und ohne sich zukünftige Möglichkeiten zu „verbauen“. Egal was in 5, 10 oder 20 Jahren auf solch einer Fläche einmal passiern soll – die Zwischenzeit wird innovativ genutzt.
Wir haben unser Tiny House selbst gebaut und wo immer möglich auf nachhaltige Baumaterialen und Strom- und Wasserlösungen geschaut. Ohne unsere Arbeitszeit mitzurechnen haben wir ca. 30’000 investiert. Unser Tiny würde sich für uns also nach ca. 3 Jahren im Vergleich zu unseren Mietkosten rechnen. Investiert man noch mehr Zeit in das Auftreiben von Recycling-Materialien, kann ein einfaches Tiny House je nachdem sogar ab 10’000 bis 15’000 machbar sein. Lasst ihr euer Tiny House bauen, starten die Preise eher bei 50’000 und sind je nach gewünschtem Standard nach oben offen. Es gibt auch Zwischenstufen, bei denen man beispielsweise einen Bausatz kauft oder den Rohbau machen lässt und den Innenausbau selbst macht.
- Minimalismus (weniger Konsum, mehr Fokus auf die notwendigen Dinge)
- Nähe zur Natur (eigener Garten, Gemüseanbau)
- Erschwingliches Wohneigentum (für die verschiedensten Lebensabschnitte)
- Autarkie (Solarstrom, Kreislaufdenken)
- Nachhaltigkeit (geringerer ökologischer Fußabdruck)
- Gesundheit (ökologisches, schadstofffreies Baumaterial)
- Finanzielle Unabhängigkeit (mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben)
- Mobilität (Umzug mit dem eigenen Haus, Flexibilität in allen Lebensphasen)
- Generationsübergreifende Wohnprojekte (Alt und Jung unterstützen sich gegenseitig)
Das gemeinschaftliche Miteinander spielt bei vielen Tiny-House-Projekten eine wichtige Rolle. Werkzeuge und andere Gebrauchsgegenstände werden eher geteilt und getauscht als neu gekauft. Oft gibt es einen Gemeinschaftsplatz, an dem die Bewohner:innen zusammenkommen. Manche Tiny-House-Projekte haben auch gemeinsam genutzte Gärten, Werkstätten, Kochplätze und Waschhäuser.
Wichtig ist uns, dass sich niemand zu solch einer Verkleinerung der Wohnfläche gezwungen sieht, sondern dass es eine bewusste Entscheidung zum Minimalismus ist. Der aktuelle Mangel an bezahlbarem Wohnraum kann von Kleinwohnformen nur bedingt gelöst werden. Hier sind zusätzlich andere politische Maßnahmen gefragt.